Ein Buch zu "unserer Zeit" das mich gerade beschäftigt: Wolfszeit

Harald Jähner: Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955. Berlin. Rowohlt 2019

Im Klappentext wird das Buch (im März 2019 erschienen) als "die erste große Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit" bezeichnet. Ob es die erste "Geschichte" ist mag man bezweifeln, sehr umfassend ist sie jedenfalls. Für unsere Jahrgänge (ca. 1939 - 1945) ist sie insofern lesenswert als wie diese Jahre als Kinder erlebt haben, oft genug (oder fast immer) mit schweigsamen Eltern. Fragen konnten wir ja noch nicht und als wir es gekonnt hätten waren wir fast alle schon auf dem Weg in die Wirtschaftswunderwelt oder doch in das eigene Leben, mit Blick nur nach vorn.

Der nachgeborene Autor Harald Jähner (geb. 1953), "Kulturjournalist" und ehem. Feuilletonchef der Berliner Zeitung, hat den nötigen zeitlichen Abstand um objektiv sein zu können, ist aber doch zeitlich noch nah dran.

Ich bin noch mitten drin im Text, aber ich will euch dieses Buch sehr ans Herz legen. Um eure Neugier zu wecken hier die Kapitelüberschriften:

1  Stunde Null ?

2  In Trümmern

3  Das große Wandern

4  Tanzwut

5  Liebe 47

6  Rauben, Rationieren, Schwarzhandel - Lektionen für die Marktwirtschaft

7  Die Generation Käfer stellt sich auf

8  Die Umerzieher

9  Der Kalte Krieg der Kunst und das Design der Demokratie

10 Der Klang der Verdrängung

Nachwort: Das Glück

im Anhang: Anmerkungen und ein ausführliches Verzeichnis der verwendeten Literatur

 

Trümmerzeit -- Trümmerleben

Die beiden nachführend zitierten Bücher sind nicht mehr im Buchhandel erhältlich (antiquarisch aber schon noch) werden aber sicher in der Bibliothek des Münchner Stadtmuseums zu finden sein. Für alle die ein wenig mehr wissen wollen, über die Zeit unserer Kindheit, möchte ich diese beiden Werke empfehlen. 

"... es wäre gut viel nachzudenken .... " hat Rilke gedichtet. Wir sollten das manchmal tun, ohne in Nostalgie zu verfallen.

 

Prinz, Friedrich (Hrsg. gemeinsam mit Kraus,s, Marita):Trümmerzeit in München. Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945 - 1949 Münchner Stadtmuseum; München 1984.

Enthält auch die Texte aus "Trümmerleben".

 

Prinz, Friedrich & Krauss, Marita (Hrsg.): Trümmerleben. Texte Dokumente, Bilder aus den Münchner Nachkriegsjahren. dtv Zeitgeschichte; München 1985.

 

 

 

Frühe Leseerfahrungen

Lesen ist für jeden Menschen sicher eine der entscheidenden Erfahrungen in den jungen Jahren.  Für mich war sie prägend.

Darüber nachzudenken wie "alles begonnen hat" ist lohnend .. und unterhaltsam dazu! Vor allem wenn alles im Jahr 1946 begonnen hat..

Aber wo fange ich da an? Die allerersten Erinnerungen an lesen (und schreiben) lernen sind vage. Da bleibt in der Erinnerung die Schiefertafel. Und das Titelbild eines Gesangsbuchs "Sing mit", das ich heute noch besitze, der Struwwelpeter natürlich, ein paar erbauliche Geschichten in einem kleinen Querformat auf billigem Papier, darunter aber auch Erzählungen aus 1001 Nacht (!).

Und dann natürlich die bunte Welt der Schundheftl. An der Ecke zur Seefelderstraße, so erinnere ich mich, war ein Behelfsbau mit einem Händler bei dem man solche Schundheftl gebraucht kaufen konnte. Den habe ich fleissig frequentiert. Die gelesenen konnte man wieder für ein paar Pfenning (ja Pfenning!) gegen andere gebrauchte umtauschen. Es waren bei mir überwiegend Wildwestromane. Billy Jenkins und Tom Prox, erst später auch Jerry Cotton der G-Man. Erst als Erwachsener habe ich gemerkt, dass die immer der gleiche deutsche Autor, am Fließband, geschrieben hat, G.F.Unger. Spannend waren sie ohne Ende. Der Schreibstil war, mir damals noch, egal. Bald bekam die kleine Schundheftl-Hütte Konkurrenz am Harras. Der hatte dann sogar meine anspruchsvollere Lieblingszeitschrift "Hobby" anzubieten..

Später kam auch noch Jerry Cotton hinzu und Perry Rhodan ... aber da war ich schon bei Karl May .... 

Der wahre Durchbruch kam dann aber mit einer privaten Leihbücherei in der Johann-Clanze-Straße. Dort hatte eine ältere Dame (wahrscheinlich war sie aber nicht gar so alt) ein ganzes "Wohnzimmer voller Bücher stehen und die konnte man ausleihen. Das war noch bevor es die Stadtbibliothek in der Meindlstraße gegeben hat. Das war unglaublich spannend und ich habe in dieser Zeit sicher 3 oder 4 Bücher pro Woche verschlungen. Ich denke Jugendschutz war damals noch kein Thema und ich konnte ausleihen was mir gerade gefiel, die Freiwillige Selbstkontrolle war ich selbst, denn mich haben nur wirkliche Abenteuergeschichten interessiert und die spielten im Wilden Westen oder in Afrika und anderen aufregend fremden Ländern und Kontinenten, nicht in Nachtclubs und Schlafzimmern. 

 

Irgendwann gab es dann die Stadtbücherei und die Bücher waren nicht mehr in einem Wohnzimmer, sondern als Karteikarten in Kästen, die hinter einer Theke standen,, hinter der ein (wirklich) junges Mädchen stand die wiederum mich gefragt hat was ich so ausleihen wollen würde. Heute wäre das "no go" und keiner würde das wollen. Darauf entspann sich ein Dialog in dessen Verlauf man so langsam das Buch angeboten bekommen hat das man wollte.  Ausgangspunkt war manchmal der Autor (Gerstäcker, Karl May) oder Genre (Wildwest, "Afrika") oder einfach nur "was mit Indianern" oder so. Die Mädels waren ziemlich gut dabei und so bekam ich ungefähr alles was ich wollte und oft auch Bücher die ich eigentlich nicht wollte, die Dir aber neue Welten eröffnet haben. Es war denke ich meine allerschönste Lesezeit!

Die Internationale Jugendbibliothek

Dann kam der Impakt !

Eines Tages nahm mich unsere Nachbarin Frau Eva-Maria Ledig (mit Sohn Michael) mit an ihren Arbeitsplatz in der Kaulbachstraße, die Internationale Jugendbibliothek. Ein Haus voller Bücher und alle  waren frei zugänglich. Überall saßen Gruppen von Kindern in Bücher vertieft und das Schönste man konnte sie selbst aussuchen und lesen. 

Für mich als 9 jährigen das Paradies. Leider war die Kaulbachstraße viel zu weit weg und ich habe das Paradies nicht oft gesehen. Erst jetzt habe ich erfahren, das internet machts möglich, das Frau Ledig Mitarbeiterin von Jella Lepman war, die Gründerin der IJB. 


Das Gebäude der Internationalen Jugendbibliothek in der Kaulbachstr.11 a; von 1949 -1983


Die Internationale Jugendbibliothek

Sie war sozusagen ein virtuelles Paradies für mich, unerreichbar wie für Adam (und Eva) aber es gab doch immer wieder Bücher, die Frau Ledig von ihrem Arbeitsplatz mitbrachte und die ich lesen konnte. Die Konferenz der Tiere von Erich Kästner, mit den Zeichnungen von Walter Trier,  bekam ich sogar geschenkt.

Später war ich noch einmal in der Blutenburg, dem Standort nach 1983, aber da hatte sie für mich nicht mehr den Zauber der Kinderzeit.

Eva-Maria Ledig, die ihrer Verdienste wegen sogar das Bundesverdienstkreuz bekommen hat, schrieb ein aufschlussreiches Buch über ihre Zeit mit Jella Lepman. Eva-maria Ledig: Eine  Idee für Kinder. Die Internationale Jugendbibliothek in München.

Von Jella Lepman selbst stammt das Buch, "Die Kinderbuchbrücke" in dem die gebürtige Stuttgarterin erzählt. Sie war im Auftrag der "Re-Education" für die Amerikaner in München. Die "Re-Education" hat bekanntlich nicht funktioniert. Die Arbeit von Jella Lepman hat gezeigt wie man es besser machen kann. 

Die Geschichte meines Lesens in der Zeit nach dem Krieg wird fortgesetzt. ....